Die Schatznovelle vom 24. & 25.05.2019
Schatznovelle in Endingen
Mit der Aufführung der „Schatznovelle“ am Samstag und Sonntag im voll besetzen Bürgerhaus Endingen konnte die Stefan-Zweig-Realschule anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Namensgebung einen Coup landen: Das von Musiklehrer Andreas Moreau verfasste und auf den Anlass zugeschnittene Bühnenstück transformierte auf bestechende Weise die Werte, für die Stefan Zweig vor 100 Jahren gestanden hat, in die heutige Zeit.
„Es ist das Schicksal der Ungewöhnlichen, immer wieder den Hass der Menschen zu erregen“ relativiert Mitschülerin Steffi gegenüber dem neu in die Klasse gekommen, ausgegrenzten Chris die Lage und zeigt ihm: „Du musst Dir diesen Schuh nicht anziehen!“ Immer wieder blinken Zitate von Stefan Zweig in diesem Bühnenstück auf wie richtungsweisende Sterne am Himmel.
Aus dem Mund der gewandten und klugen Steffi klingen die „alten Sprüche“ zwar zunächst gewöhnungsbedürftig – aber weil die belesene Schülerin so selbstbewusst agiert, verfehlen ihre Zweig-Zitate nicht ihre Wirkung. Steffis Gegenspieler ist Tom, der Anführer einer Clique, dem es eine Genugtuung ist, den neuen Mitschüler Chris zu tyrannisieren. Die Zuschauer erleben, wie sich die fünf Jungs in der Pause zusammen rotten, wie sie mit ihren eigenen Problemen ringen und wie schwer sie sich damit tun, aus dem Schatten des Anfühers Tom heraus zu treten.
Im Hintergrund bilden eingeblendete reale Szenen aus dem Endinger Schulalltag eine eindrucksvolle Bühnenkulisse, beispielsweise wenn die Jugendlichen nach dem Pausengong die Treppe zum Schulhof hinunter stürmen.
Blitzschnell wechseln die Szenen auf der Bühne. Das Licht geht kurz aus, man sieht Gestalten über die Bühne huschen und schon ist mit Hilfe von wenigen Requisiten rasch ein neues Umfeld gestaltet. Im Zentrum der Handlung steht die Klasse 9c mit der jungen Lehrerin Frau Sexauer . Entsprechend der toll heraus geschälten Persönlichkeitstypen der Schülerinnen und Schüler gehen die Einzelnen sehr unterschiedlich mit den Anforderungen des Schulalltags und des Lebens um: Da ist Tom, der seinen Frust über häusliche Streitigkeiten hinter Großspurigkeit versteckt. Moritz ist ein typischer Mitläufer und Jana wird von den Jungs umschwärmt. Sehr lebensecht dargestellt ist beispielsweise auch, wie die Freundinnen Lucy und Jule im Lauf der Handlung aus ihren Unsicherheiten heraus und immer mehr zu sich selbst finden.
Sinnbildlich für den Glauben an die eigene Stärke steht in der Geschichte ein grüner Stein als Talisman, den Steffi verschenkt. Das Besondere: Der Stein erwacht zum Leben, er nimmt als lebensgroße grüne Masse Gestalt an und „begleitet“ und bestärkt seinen Besitzer auf dem Weg zur eigenen Identität.
Es ist spannend und aufrüttelnd, wie es der Theater AG mit diesen sehr feinfühlig und ausdrucksstark umgesetzten Szenen gelingt, dem auf die Spur zu kommen, was das Leben ausmacht. „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern“ erkennen die Beteiligten in Stefan Zweigs Zitaten den Verweis auf die „wahren Schätze“.
Im Foyer des Bürgerhauses zeigen Schülerinnen und Schüler an Stellwänden ihren kreativen und intensiven Umgang mit der Sprache ihres Namensgebers. Die ausgestellten Kunstwerke und Spruchtafeln finden in der Pause und nach der Aufführung viel Beachtung bei den beeindruckten Besuchern.
Am Ende der Jubiläumsaufführung sind nicht nur die beiden Halunken geläutert, die das noch unveröffentlichte letzte Werk von Stefan Zweig aus der Schulbibliothek klauen wollten – auch Tom und seine Gang haben viel dazu gelernt. Sogar der Schachspieler, der auf einer Seitenbühne auf unerbittliche Weise jeden „Zug des Lebens“ auf seinem Spielbrett nachstellt, kapituliert vor Stefan Zweigs Gabe, Zusammenhänge und Wirkungsketten zu erkennen.
An diesen beiden Abenden sind die Besucher nicht nur beeindruckt von den heraus ragenden Leistungen vieler Mitwirkenden, sondern auch von der Aktualität des Themas. Der Schule ist es mit dieser Aufführung zweifellos gelungen, die Leute für Stefan Zweig zu interessieren. „Ich muss jetzt unbedingt einmal ein Buch von diesem Schriftsteller lesen!“ ist beispielsweise die Reaktion eines Besuchers, die Stefan Zweig gefallen hätte.
Text: Christel Hülter-Hassler
Bilder: Uwe Lipp